Linkshänder-Initiative

Probleme umgeschulter Erwachsener

Obwohl die Schädlichkeit der Umschulung auf die nicht dominante Hand seit den 60er Jahren bekannt ist und seither linkshändige Kinder in den Grundschulen nicht mehr zum Schreiben mit der rechten Hand gezwungen werden, findet das Schicksal von in der Kindheit umgeschulten Erwachsenen bis heute weder in der Medizin noch in der Psychotherapie nennenswerte Beachtung.

Eine Münchner Studie aus dem Jahr 2002 betreffend die Gehirnaktivitäten beim Schreiben (Abbildung unten) weist nach, dass auf rechts umgeschulte LinkshänderInnen auch nach Jahrzehnten der motorischen Automatisierung noch ein völlig anderes Muster von beteiligten Gehirnregionen zeigen als RechtshänderInnen und links schreibende LinkshänderInnen. Umgeschulte LinkshänderInnen müssen auch als Erwachsene noch mehr Kraft aufwenden, um Bewegungen der rechten Hand zu initiieren, und sie brauchen zusätzliche Energie für die Unterdrückung von Aktivitäten der linken Hand. Im Unterschied zu RechtshänderInnen und links schreibenden LinkshänderInnen sind die Gehirnaktivitäten auf beide Gehirnhälften verteilt. Die Propriozeption, die Eigenwahrnehmung des Körpers, ist bei umgeschulten LinkshänderInnen reduziert.

Abbildung entnommen aus: Hartwig R. Siebner et al.: "Long-Term Consequences of Switched Handedness: A Positron Emission Tomography Study on Handwriting in "Converted" Left-Handers" in The Journal of Neuroscience, April 1, 2002, 22(7)2816-2825

Das Putamen, ein Teil der Basalganglien des Gehirns, verkümmert durch die Umschulung der Schreibhand. Das Gehirn ist in seiner Funktion in einem Maß irritiert , dass auch andere alltägliche Aktivitäten neben dem Schreiben beeinträchtigt sein können und das Gehirn des Umgeschulten bis zu 30% zusätzlicher Energie verbraucht. Die Folgen können sein: rasche Ermüdbarkeit bzw. chronische Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Blockaden der zerebralen Abläufe im Sinne eines "Wackelkontaktes im Kopf": ADS-ähnliche Symptome, Black outs beim Abrufen von Gedächtnisinhalten unter Stress und erhöhte Fehleranfälligkeit bei motorischen Abläufen, auch beim Sprechen (Stottern). Es gibt Hinweise auf vermehrtes Auftreten psychosomatischer Beschwerden. Eine von Dr. Günter Schulter durchgeführte Studie an der Universität Graz legt nahe, dass Autoimmunkrankheiten auf das Forcieren der linken Gehirnhälfte zurückgehen und LinkshänderInnen und sogenannte "BeidhänderInnen" häufiger unter solchen Krankheiten leiden als RechtshänderInnen. Beobachtet wird auch ein übermäßiger Rechtfertigungsdrang.

Umgeschulte LinkshänderInnen sind in einer Weise sozialisiert, die ihnen die Wahrnehmung der Zusammenhänge zwischen eventuell auftretenden charakteristischen Schwierigkeiten und der Umschulung ihrer Händigkeit erschwert. Kinder, die über geeignete - wenn auch vielleicht nur sanfte - erzieherische Motivation oder auch aus eigener Einsicht in die Vorteile der Anpassung zu PseudorechtshänderInnen geworden sind, sind vor allem einmal stolz auf ihre Leistung. Der Blick des Erwachsenen auf den Preis, den er bezahlt hat, würde das schmerzhafte Bewusstsein mit sich bringen, diskriminiert zu sein. Die Wahrnehmung dieses Schmerzes aber wird von der sozialen Umwelt abgeblockt. Obwohl Fachleute darin einig sind, dass der Händigkeit eine sinnvolle biologische Funktion zukommt im Sinne der Automatisation von Bewegungsabläufen, und dass ein Wechsel der Hand bei komplexeren Tätigkeiten die motorische Effizienz reduziert, hält sich in der Bevölkerung hartnäckig das Vorurteil, Beidhändigkeit sei ein erstrebenswertes Ideal. So begegnen Umgeschulte regelmäßig dem Neid der Rechtshänder auf ihre angeblich erweiterten motorischen Möglichkeiten. Bis heute konnten sich Interessenvertretungen Betroffener gesellschaftlich nicht durchsetzen. Der Wiener Kinderpsychiater Andreas Rett hat bereits 1973 auf die künstlich geschaffene Chancenungleichheit durch Umschulung hingewiesen und auch Maßnahmen zur Rehabilitation umgeschulter Erwachsener im Rahmen von Weiterbildung und Psychotherapie gefordert. Seine Ermahnungen blieben bis heute weitgehend ungehört.

Wenn unter solchen Voraussetzungen Umgeschulte mit Sekundärfolgen wie Minderwertigkeitsgefühlen bis hin zu Depressionen reagieren, so überrascht das nicht. Erfahrungen mit der sehr aufwändigen
Rückschulung von Erwachsenen zeigen meist eine deutliche Verbesserung des Wohlbefindens.

LinkshänderInnen-Initiativen setzen primär auf Prävention bei Kindern. Aber auch in diesem Sinn werden Erwachsene der Aufarbeitung ihrer negativen Erfahrungen nicht ausweichen können, denn Verdrängung ist der Identifikation mit dem Angreifer gleichzusetzen, und auf diese Weise wird Umschulung gerade von umgeschulten Eltern sozial auf die nächste Generation vererbt.

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© Dr. Elisabeth Ertl - 2005