Linkshänder-Initiative

Linkshändige Kinder fördern

Noch vor 40 Jahren unterstellte man linkshändigen Kindern grundsätzlich einen schlechten Charakter. Oft wurden solche Kinder von ihren Eltern und Erziehern gefoltert: man band ihnen die linke Hand auf den Rücken oder machte die Hand durch Verbände unbenutzbar. Wer sich heute für linkshändige Kinder engagiert, stößt zunächst auf Verständnislosigkeit: "Linkshändigkeit ist doch heute kein Problem mehr! Jedes Kind darf mit der linken Hand schreiben, wenn es will." Aber Jahrhunderte alte Diskriminierungen verschwinden ja nicht innerhalb weniger Jahrzehnte! Immer noch verbrennen sich linkshändige Kleinkinder an Wasserhähnen mit 2 Ventilen die Finger, verschütten ihre Getränke aus einseitig bemalten Tassen beim Betrachten des Bildes und kommen mit Cowboygürteln nicht zurecht, weil der Colt an der falschen Seite steckt. Sie müssen beim Begrüßen die "schöne Hand" reichen und das Taschentuch manchmal an der falschen Seite in der Hosentasche unterbringen. Beim Tanzen und bei Bewegungsspielen stoßen sie mit anderen Kindern zusammen und werden dafür gerügt. Umschulung auf die rechte Seite beginnt also schon lange vor dem Schreibenlernen, wenn auch heute nur noch selten in Form bewusster erzieherischer Gewalt.

Händigkeit ist angeboren und zeigt sich bei den meisten Kindern bereits im 2. Lebensjahr. Haben sich Kinder im Alter von 4 Jahren noch nicht auf eine Vorzugshand festgelegt, so ist dies oft ein äußeres Anzeichen für eine minimale zerebrale Dysfunktion, manchmal auch für ein motorisches Defizit. Solche Kinder brauchen therapeutische Begleitung!

Häufig scheint sich eine ursprünglich von den Eltern beobachtete deutliche Linkshändigkeit während der Kindergartenzeit zu ändern. Meist erweist sich da ein von der Kindergärtnerin in Folge entsprechender Erfahrung erwarteter "spontaner" Wechsel der Vorzugshand als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung! Kinder beobachten genau ihr soziales Umfeld: In welcher Hand hält die Tante den Bleistift, die Schere? In welcher Hand halten die anderen Kinder den Ball, den Eislutscher? Was bedeuten Ausdrücke wie "linkisch" oder "zwei linke Hände haben", andererseits "Mach es mir recht" oder "Du bist recht brav gewesen"? Kinder wollen dazu gehören! Nur vitale durchsetzungsstarke Kinder behaupten trotz allem ihre dominante linke Hand bis zum Schulalter! Die nicht dominante Hand ist trainierbar und kann etwa 90% der Leistungsfähigkeit einer trainierten dominanten Hand erreichen. Die Folgen eines Rollentausches von "Chefhand" und "Mitarbeiterhand" fallen in diesem Alter noch kaum auf. Das gesunde linkshändige Kind verfügt zunächst über ausreichende Kompensationsmechanismen, vor allem auch, weil im Kindergarten noch kein Leistungsdruck herrscht. Vielleicht ist es einfach nur mit seinen schemenhaft angedeuteten Zeichnungen rasch fertig. Vielleicht macht es beim Spielen etwas mehr Pausen als andere Kinder. Vielleicht äußert sich eine gewisse innere Anspannung in etwas mehr Impulsivität, oder das Kind ist sensibler und etwas leichter zu entmutigen als andere. Vielleicht aber zeigt es auch deutlichen Widerstand gegen Basteln und Zeichnen oder arbeitet in auffälliger Weise am liebsten alleine.

Zum wirklichen Problem wird die erfolgte Umschulung später in der Schule! Das als RechtshänderIn wahrgenommene Kind lernt mit der falschen Hand das Schreiben, und zwar unter Leistungsdruck. Schreiben stellt höchste Anforderungen an das Gehirn. Das Schreiben mit der nicht dominanten Hand erzwingt viele Umwege in den zerebralen Abläufen, die sich in mannigfachen Irritationen äußern können: Man beobachtet Störungen des Sprachflusses bis hin zu Stottern, verkürzte Konzentrationsphasen, Unzuverlässigkeit des Gedächtnisses, legasthenische Symptome wie Buchstaben- und Zahlenverdreher sowie Auslassungen von Buchstaben, unbeherrschbare "Flüchtigkeitsfehler" trotz oft prinzipiell guter Rechtschreib- und Rechenkenntnisse, schlechte Schrift, Schreibunlust und nicht zuletzt eine generelle motorische Fahrigkeit. Sekundär können sich daraus Minderwertigkeitsgefühle, Verhaltensstörungen und psychosomatische Beschwerden entwickeln, welche die betroffenen Menschen unter Umständen ein Leben lang belasten. Der am Wiener Allgemeinen Krankenhaus tätige Kinderpsychiater Andreas Rett hat in seinem Buch "Linkshänder" bereits 1973 auf diese Probleme hingewiesen: "Dass wir für eine zwar zahlenmäßig nicht genau erfasste, gewiss aber große Gruppe von Schülern mit einer Klärung des Problems der Händigkeit mehr tun können als mit einer Konstruktion neuer Schulmodelle und -systeme, ist heute offenbar noch nicht erkannt worden." Seine Ermahnungen blieben in Österreich weitgehend ungehört. Im schulisch erfolgreichen Bayern schreiben nach einer radikalen Reform der Vorschul- und Grundschulpädagogik mittlerweile bis zu 30% der Schulanfänger mit der linken Hand! Auch in Skandinavien und teilweise in angelsächsischen Ländern werden linkshändige Kinder pädagogisch weitaus sensibler wahrgenommen als in Österreich!

Die zentrale Rolle bei der Verhütung von Umschulungen kommt den Kindergärten zu! Ein einziger Tag, an dem Sie einmal Ihre linke Hand für sämtliche alltäglichen Handgriffe einzusetzen versuchen, kann Ihr pädagogisches Weltbild stärker verändern als so manche umfangreiche reformpädagogische Fortbildung! Alle zu setzenden pädagogischen Maßnahmen lassen sich unschwer daraus ableiten:
Fragen Sie bei der Aufnahme eines Kindes in den Kindergarten immer auch nach seiner Händigkeit, und ermutigen Sie linkshändige Kinder, bei ihrer dominanten Hand zu bleiben! Sprechen Sie das Thema Händigkeit in geeigneter Weise immer wieder vor den Kindern an! Sorgen Sie dafür, dass wichtige Gegenstände (z.B. Toilettenpapier) und Griffe mit beiden Händen gleich gut erreichbar sind! Stellen Sie den Computer so auf, dass links und rechts Platz für eine Maus ist. Eine Maus lässt sich ganz einfach für linkshändigen Gebrauch umprogrammieren. Im Fachhandel gibt es auch einen separaten Nummernblock mit Entertaste, der sich links an das Keyboard anfügen lässt. Linkshändige Kinder brauchen zum Schreiben einen Arbeitsplatz mit Lichteinfall von rechts. Am Ess- und Schreibtisch darf das linkshändige Kind links von sich keinen rechtshändigen Nachbarn haben. Gutes Spielzeug ist symmetrisch. Vermeiden Sie Billigspielzeug wie Sandkastengefäße mit seitlichem Ausguss, Fahrzeuge mit Bedienelementen nur auf einer Seite etc. Abbildungen auf Kinderzahnbürsten dürfen nicht auf dem Kopf stehen, sobald man die linke Hand benutzt, ebenso wenig solche auf Schreib- und Zeichenstiften. Bestimmte Gebrauchsgegenstände müssen als Varianten für Rechts- und für Linkshänder angeschafft werden - und zwar in gleicher Stückzahl! Dazu zählen Scheren (Achtung: Kopieren Sie auszuschneidende Figuren für Linkshänder immer spiegelverkehrt!), Bleistiftspitzer, Füllfedern und manche Musikinstrumente (z.B. Gitarre, Violine) Das Binden von Schleifen sowie das Stricken und Häkeln müssen dem linkshändigen Kind seitenverkehrt vorgezeigt werden! Bei Anzeichen für eine erfolgte Umschulung oder bei unklarer Händigkeit empfehlen Sie den Eltern einen Händigkeitstest, welcher von Fachleuten (Linkshänderberater, Ergotherapeuten, Mototherapeuten) durchgeführt wird.

Sehr wichtig ist in der Vorschule eine geeignete Schreibvorbereitung für linkshändige Kinder. Die richtige Schreibhaltung muss sich unbedingt schon vor Schulbeginn automatisieren, ansonsten neigen linkshändige Kinder später zum Schreiben mit der typischen Hakenhand, was schließlich Haltungsschäden zur Folge haben kann. Das Blatt wird leicht nach rechts gekippt und die Hand locker unter der Zeile geführt, wobei das Stiftende zur linken Schulter zeigt. Es ist günstig, Nachspurübungen gleich zu Beginn mit Füllfeder durchzuführen, weil dann das Kind den Sinn der richtigen Schreibhaltung begreift: es kann die Schrift nicht verwischen! Geeignete Schreibunterlagen, die es im Fachhandel zu kaufen gibt, erinnern die Kinder an das Gelernte. Schon während der Schreibvorbereitung hat jedes Kind die Gelegenheit, unter verschiedenen Füllfedermodellen das geeignetste für sich zu ermitteln. Besonders linkshändige Kinder neigen anfangs zur Spiegelschrift . Dies ist keineswegs ein Hinweis auf Legasthenie! Wirkliche Legasthenie kommt bei linkshändigen und rechtshändigen Kindern in gleichem Maße vor. Normal begabte Kinder gewöhnen sich in der Schule bald an die vorgegebene Schreibrichtung! Linkshändige Kinder bauen auch Zeichnungen oft spiegelverkehrt zu jenen der RechtshänderInnen auf!

 

 

© Dr. Elisabeth Ertl - 2005