Linkshänder-Initiative

Links und Rechts in der Bildenden Kunst

Versuch einer Sensibilisierung im Sinne der Bevölkerungsgruppe der LinkshänderInnen

Tagtäglich haben wir es mit den einfachen Richtungsangaben links und rechts zu tun. Sind wir uns ihrer enormen Bedeutung für unsere Wahrnehmung und unser Tun aber auch wirklich bewusst?
Die Unterscheidung von links und rechts setzt ein Bewusstsein von sich als Individuum voraus. Sie ist Kindern meist erst im Schulalter möglich. Viele Menschen haben ein Leben lang Schwierigkeiten damit.
Johanna Barbara Sattler skizziert in ihrem Buch "Links und Rechts in der Wahrnehmung des Menschen - Zur Geschichte der Linkshändigkeit" (464 Seiten, Auer Verlag, 2000) sehr ausführlich die Entwicklung der Seitenwahrnehmung und Seitenbewertung. Im Folgenden soll ein Überblick vor allem über ihre Forschungsergebnisse gegeben werden.

Von den objektiven Himmelsrichtungen zur subjektiven Orientierung an links und rechts

Die Aborigines Australiens kennen keine Begriffe für links und rechts. Sie nehmen ausschließlich die objektiven Himmelsrichtungen wahr. Steht der Mensch beispielsweise nach Norden gewendet, so bezeichnet er seine linke Tasche als westliche Tasche und seine rechte als östliche. Wendet er sich nach Süden, so ist es umgekehrt.
Der Begriff "Orientierung" bedeutete in den frühen Hochkulturen die systematische Ausrichtung nach Osten, nach der aufgehenden Sonne hin. Das hebräische Wort für links ist in diesem Sinn gleichbedeutend mit Norden, das Wort für rechts gleichbedeutend mit Süden. Die Ostung von Kirchengebäuden ist ein Erbe dieser kulturellen Entwicklungsstufe.
Was gab der rechten Seite ihre normbildende Macht? Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Werkzeugfunde sprechen dafür, dass das Verhältnis von Rechts- und Linkshändern in vorgeschichtlicher Zeit 50 : 50 betragen hat. Die ersten Schriften waren linksläufig und kommen so dem Bewegungsbedürfnis von Linkshändern entgegen. Schriftzeichen entwickelten sich aus Bildern, und LinkshänderInnen zeigen statistisch eine größere Begabung für Raumvorstellung und für Bildende Kunst, was das Phänomen möglicherweise erklärt. Mit zunehmender Abstraktion könnten die sprachgewandteren Rechtshänder die Kunst des Schreibens übernommen haben und so zur gesellschaftlichen Elite geworden sein. Zunächst findet man Schriften mit zeilenweise wechselnder Richtung, so die "ordo bustrophedicus" im 5. Jh. Auf Kreta, die Hieroglyphenschrift der Hethiter und die frühen Runen. Später entstandene Schriften sind rechtsläufig.
Im Alten Testament findet man den Begriff "rechts" wohl im Sinne der starken Seite, wie das der Erfahrung von Rechtshändern entspricht, doch ist der Begriff "links" dort noch keineswegs negativ besetzt. So heißt es etwa im Buch der Sprüche, Kap 3 /Vers 16: "Länge des Lebens ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre."
Erste Seitenbewertungen finden sich in der Antike. Die frühe Römische Kultur bezeichnete links als Glücksseite und rechts als Unglücksseite, im Griechentum war es genau umgekehrt. Der Evangelist Matthäus scheint von dieser Tradition beeinflusst, wenn er Jesus in Kap. 25 / Vers 33 über das Jüngste Gericht sagen lässt: "Und Er wird die Schafe zu Seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken."
Über die Weltanschauung des Persers Mani (216 - 276) , der alle Phänomene in das einfache Schema von Gut und Böse einordnete, und der die Lehre der Katholischen Kirche stark geprägt hat, bildete sich jene moralische Seitenbewertung heraus, die LinkshänderInnen für Jahrhunderte zu einer diskriminierten Bevölkerungsgruppe werden ließ. D ie Wahrnehmung von links und rechts löste sich weitgehend von objektiven Orientierungspunkten und erhielt stärkeren Bezug zum menschlichen Körper. Rechts wurde zur Seite Gottes, links zur Seite des Teufels. Das Tun der rechten und der linken Hand wurden mit entsprechenden Bedeutungen versehen. So hatte der Priester alle einhändigen sakralen Handlungen mit der rechten Hand zu vollziehen . Das Kreuzzeichen mit der linken Hand galt als eines der Erkennungszeichen von Hexen. (Noch heute dämonisiert der Sprachgebrauch die linke Seite mit Ausdrücken wie "linke Tour", "linken", " linker Typ", "mit dem linken Fuß aufstehen" etc.)
Die Seitenbewertung bildet sich überall in der frühen Kirchenarchitektur ab. Der Aufgang zum Altar bedarf einer ungeraden Stufenzahl, damit der Priester den Anstieg mit dem rechten Fuß beginnen und beenden kann. Das "geringere" Geschlecht der Frauen hat auf der linken Seite zu sitzen, das ehrenvollere der Männer auf der rechten. Der Bilderschmuck der linken und rechten Seitenwände folgt meist entsprechenden Zuordnungen. So findet man links Darstellungen des irdischen Lebens, von Sündern und Heiden, rechts Bilder des Ewigen Lebens, des Heiligen Geistes und der Gerechtigkeit. S. Apollinare in Ravenna ist auf der linken Seite mit Darstellungen von Märtyrerinnen, auf der rechten mit solchen von Märtyrern geschmückt. Der Grund dafür, dass die Evangelienseite links zu finden ist, liegt darin, dass das Evangelium ja den Heiden und nicht den Gläubigen gepredigt werden muss.
Sehr klar kommt die Seitenbedeutung bei Kreuzigungsdarstellungen zum Tragen. Auf jener des "Hortus deliciarum" sind links von Christus der uneinsichtige Schächer Gestas, der Mond, Johannes, der den Schwamm reichende Soldat Stephanos, die Erde und die Synagoge als Bild des Judentums auf einem strauchelnden Esel dargestellt. Rechts finden sich der reuige Schächer Dysmas, die Sonne, Maria, der Hauptmann Longinus, Wasser und die auf dem Evangelistentier reitende Ekklesia.
Sattler untersuchte auch Beispiele der romanischen Plastik Burgunds hinsichtlich der traditionellen Seitenbedeutung. Besonders die Platzeinteilung in den Portalen wertet deutlich die linke Seite ab und bevorzugt die rechte. In den Tympana ist die Seitenbedeutung von den dargestellten Personen (meist Christus) aus zu verstehen: zu seiner Rechten liegt das Paradies, zu seiner Linken die Hölle.

Wahrnehmungspsychologische Aspekte

Gibt es auch von kulturbedingten Wertungen unabhängige Seitenwahrnehmungen? Viele Erkenntnisse der Neuropsychologie bestätigen dies.
Die menschlichen Körperhälften sind nur auf den ersten Blick spiegelbildlich gestaltet. Bei näherer Betrachtung zeigt sich beispielsweise, dass ein Trickfoto, welches aus nur einer Gesichtshälfte und deren Spiegelbild zusammengesetzt ist, sich erheblich von jenem unterscheidet, welches aus der anderen Hälfte und ihrem Spiegelbild gestaltet wird.
Vor allem aber das Innere des menschlichen Körpers ist weitgehend asymmetrisch angelegt. Dies betrifft das Gehirn anatomisch nur in geringem, funktionell aber in erheblichem Maße. So ist die linke Gehirnhemisphäre spezialisiert auf analytisches, sprachlogisches Denken, auf die Wahrnehmung und Gestaltung von Zeitstrukturen und auf leichte, heitere Gefühle. Die rechte Hemisphäre denkt synthetisch-ganzheitlich, kann Raum und Perspektive wahrnehmen und gestalten und das gesamte emotionale Spektrum von Agonie bis zur Ekstase verstehen und wiedergeben. Die rechte Hemisphäre ist daher besonders für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Werken der Bildenden Kunst geeignet. Es konnte nachgewiesen werden, dass die von der rechten Hemisphäre gesteuerte linke Hand prinzipiell etwas besser in der Lage ist, perspektivisch zu zeichnen. Beim Rechtshänder wirkt allerdings die mangelnde Geschicklichkeit der linken Hand hindernd. Es verwundert daher nicht, dass überdurchschnittlich viele bedeutende Künstler und Architekten Linkshänder waren und sind, beispielsweise Leonardo, Michelangelo, Rubens, Dürer, Hans Holbein, Paul Klee und M.C. Escher!
Wohl sind beide Gehirnhemisphären in beiden Augen repräsentiert, doch die jeweils kontralaterale Seite in jedem Auge etwas stärker! Vor allem aber dominiert die rechte Hemisphäre das linke Gesichtsfeld und umgekehrt. Für das linke Gesichtsfeld konnte eine bessere Tiefenwahrnehmung nachgewiesen werden, während das rechte Gesichtsfeld mehr auf Bilddetails blickt. Gegenstände auf der linken Seite eines Bildes erscheinen plastischer, die Materialbeschaffenheit ihrer Oberfläche und ihre Ausdehnung vom Boden aus werden betont. Gegenstände auf der rechten Seite erscheinen abgeflacht, und anstelle der Textur werden Konturen, Farbe und die Helligkeit hervorgehoben. Das linke Gesichtsfeld ist auch stärker auf das Erkennen von Gesichtern spezialisiert.
Die meisten Untersuchungen zu Blickbahn und Kompositionsrichtung basieren auf der tendenziellen Wahrnehmung von Rechtshändern. Zyklische Darstellungen, die einen zeitlichen Geschehensablauf schildern, werden häufig von links nach rechts komponiert. Den Seiten werden meist unterschiedliche emotionale Wirkungen zugeschrieben: links bedeutet Heimat, rechts die Fremde. Auf Schlachtengemälden kommt die Hauptperson häufig von links, der Gegner von rechts. Berühmt geworden ist die Beschreibung der Blickbahn durch Heinrich Wölfflin, wonach die steigende Diagonale von links unten nach rechts oben, die fallende von links oben nach rechts unten verläuft. Man hat dies häufig mit dem Schriftverlauf zu begründen versucht. Es zeigt sich aber, dass rechtshändige Araber und Hebräer, deren Schrift nach links verläuft, ebenso wahrnehmen wie rechtshändige Europäer. Die Wahrnehmungsrichtung ist vor allem abhängig von der angeborenen Händigkeit! Linkshändige Kinder zeigen in ihren Zeichnungen häufig einen umgekehrten Bildaufbau. Oft wird auch linkshändigen Studenten an Kunstakademien vorgeworfen, dass sie den Bildaufbau "fasch herum" anlegen. Möglicherweise ist es aber genau diese Andersartigkeit, die Rechtshänder an den Werken linkshändiger Künstler wie beispielsweise Leonardo so anrührt, und welche die Bilder für sie so überraschend macht! Johanna Barbara Sattler organisierte 1987 in München eine Ausstellung zeitgenössischer linkshändiger Künstler.

Konsequenzen für die Pädagogik

Aus dem Zusammenhang des bisher Ausgeführten erhebt sich natürlich die Frage, in welcher Weise linkshändige Kindern pädagogische Beachtung finden sollen! Viel wesentlicher noch als die Gewährung entsprechender Freiheit in der Werkgestaltung ist die Akzeptanz der dominanten Hand bei allen Tätigkeiten, vor allem auch im Werkunterricht, nämlich durch Bereitstellung seitenverkehrten Werkzeugs! Die Normierung von Werkzeugen im Sinne eines rechtshändigen Gebrauches erfolgte erst im Zuge der Industrialisierung, bei Waffen und Musikinstrumenten schon früher im Sinne militärischer Disziplin, die bis heute auch in Orchestern gilt! Es konnte nachgewiesen werden, dass die nicht dominante Hand auch nach jahrzehntelangem Training etwa 10 % langsamer bleibt als die dominante Hand. In die Ausbildung zum Zahntechniker, wo unter großem Zeitdruck gearbeitet werden muss, werden Linkshänder aus diesem Grund mittlerweile prinzipiell nicht mehr aufgenommen, weil die Anschaffung seitenverkehrter Geräte als zu teuer abgelehnt wird.
Linkshändigen Kindern ist zwar heute erlaubt, mit der linken Hand schreiben zu lernen, im Vorschulalter wird aber in Österreich leider immer noch häufig umgeschult! In liberaleren Ländern wie beispielsweise einzelnen Staaten der USA und in Skandinavien schreiben bereits bis zu 30 % aller Kinder mit der linken Hand, in Österreich sind es ca. 8 %. Die Gründe sind vielfältig: Die ersten Äußerungen der angeborenen Händigkeit - meist schon im 2. Lebensjahr - werden pädagogisch nicht ernst genommen, und man erwartet, dass sich vor allem im Kindergarten die Händigkeit noch auf rechts umstellt. Tatsächlich ist dies oft der Fall, jedoch meist nicht als Ausdruck der angeborenen Dominanz, sondern in Folge mangelnder Vorbilder, fehlender händigkeitsgerechter Gebrauchsgegenstände und dem Wunsch der Kinder, dazuzugehören und keine Außenseiter zu sein. Nur selten wird Händigkeit von Pädagogen angemessen angesprochen, linkshändige Kinder fühlen sich daher in ihrer Eigenart nicht wahrgenommen. Bei sensiblen Kindern kann diese Ignoranz unter Umständen stärker wirken als ein Verbot der linken Hand, sodass sie sich selber auf die rechte Hand umschulen. Im Fall einfacher alltäglicher Tätigkeiten ist das wohl zunächst nicht weiter bedenklich, doch mündet diese Entwicklung in weiterer Folge meist in das Erlernen des Schreibens mit der rechten Hand. Wie Peter Böhm in seiner Dissertation nachweisen konnte, mindert die Umschulung zum Schreiben mit der nicht dominanten Hand statistisch den Schulerfolg. Es kommt zur Ausbildung von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, bestimmten Formen von Legasthenie, feinmotorischen Irritationen und Sprachstörungen. In der Folge treten Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle auf, die Betroffene meist noch im Erwachsenenalter stark belasten. Es ist daher wünschenswert, Umschulung so früh wie möglich, am besten noch im Grundschulalter, jedenfalls aber noch vor der Pubertät, zu erkennen, und betroffene Kinder auf die dominante Schreibhand zurückzuschulen. In diesem Zusammenhang könnten Lehrer der Bildnerischen Erziehung und Werkerziehung durch sorgfältige Beobachtung wertvolle diagnostische Hilfestellung leisten!

 

 

© Dr. Elisabeth Ertl - 2005