Linkshänder-Initiative

"Ach, das mach ich mit links"

(Oder: Die meist unbemerkte Diffamierung der vielen Linkshänder (linkshändigen Kinder) in einer rechtsorientierten Welt)

Wer kennt sie nicht, Aussprüche wie: "Der hat zwei linke Hände", "Jemand links liegen lassen" , "Mit dem linken (falschen) Fuß aufgestanden sein" , "Linke Geschäfte machen", "Ein linker Vogel", "Jemand linken", "Das ist eine Linke", "Linke (umstürzlerische, revolutionäre) Parteien", "Links um machen" das heißt, verschwinden, usw.

Alle diese Ausdrücke, Formulierungen und Gemeinplätze haben etwas gemeinsam: "links" ist mit etwas Schlechtem, Negativem oder sittlich Abzulehnendem besetzt (In der Überschrift ist das Negative indirekt ausgedrückt, denn man könne etwas ohne Schwierigkeiten auch mit der "schwächeren, ungeschickteren" linken Seite (Hand) machen.).

Es ist die Sprache, durch die Werte und Werthaltungen transportiert werden. Meist sind es polare Gegensätze, durch die das passiert, wie "freundlich - unfreundlich", "liebevoll - gehässig", "friedlich - kriegerisch", oder eben "links - rechts".

Wenn wir im Gegensatz zu links Wörter mit dem Wortteil "rechts" ansehen, so steckt in "rechts" fast immer Positives, Richtiges: "Es wird Recht durch das Gericht gesprochen", "Es geht mit rechten Dingen zu", Man schwört mit der rechten Hand" " Recht zeitig zu kommen ist gefragt", "Die Maßnahme war ge recht fertigt". "Wir grüßen mit der rechten Hand" usw. Das ethymologische Wörterbuch ist eine Fundgrube für diesen historisch gewachsenen Gegensatz von "link" und "recht".

Kinder haben während der Kindheit die schwere Aufgabe des Spracherwerbs zu leisten. Linkshänder genauso wie Rechtshänder. Leider wird schon sehr früh Linkes abgewertet. Kleine Kinder hören oftmals noch immer die Aufforderung "gib die schöne (brave) Hand", wenn sie die linke Hand zum Gruß hinstrecken. Ist die rechte Hand vielleicht schöner,- braver?

Dass damit wieder etwas Linkes abgewertet wird, nämlich die linke Hand, bleibt unbemerkt.

Welcher Erzieher lässt das Kind schon mit der linken Hand grüßen, und sagt höchstens " Du kannst mich ruhig auch mit der linken Hand grüßen. Denn es ist nur eine Vereinbarung, mit der rechten Hand zu grüßen."

Unsere Sprache (wie auch die anderen europäischen Sprachen) diffamiert schon seit vielen Jahrhunderten die linke Seite. Die Ursachen dafür sind heute bestens erforscht. Jeder der eine der Eingott-Religionen (die katholische, die evangelische, die mosaische oder die islamische Glaubenslehre, um nur einige zu nennen) studiert, stößt bei der Behandlung der Probleme von Gut und Böse unweigerlich auf die Linkshänderfeindlichkeit, wenn es sich mit dem Manichäismus befassen muss. Der Prophet Mani (216 bis 276 n. Chr.), der ein hervorragender Redner und Philosoph war, schuf die religiöse Forderung und das Dogma einer strikten Trennung von Gut und Böse bei gleichzeitiger Zuordnung von "Rechts - Gut" und "Links - Böse". Diese Seitenaufteilung ist in die christliche Liturgie und über diese in das christliche Brauchtum und die christliche Kunst eingegangen. Die dualistische Symbolik soll hier nur angedeutet sein: In der geosteten Kirche (der Altar war nach Osten , nach Jerusalem gerichtet) war die linke Seite der Kirche die Nordseite , die Seite der Frauen (der Irdischen), die Seite des Bösen, des Teufels, der Sünder, der Kälte, des Unglaubens, und rechte Seite, wenn man zum Altar blickt, die Südseite, die Seite der Männer, der Geisterfüllten, des heiligen Geistes, der Gerechten, des ewigen/kontemplativen Lebens.

Unser "Steffel" ist eine solche geostete Kirche. Der Lehrausgang zum Stephansdom, den alle Wiener Kinder machen, könnte auch anders interessant ablaufen. Denn die Bild- und Reliefdarstellungen in und an der Kirche zeugen von diesen unseligen Auffassungen.

Ihren Höhepunkt erreichte diese Diffamierung von "Links" im Mittelalter, als die Inquisition viele Menschen verbrannte, nur weil sie linkshändig waren ("Die linke Hand ist die des Teufels") Wer linkshändig war, musste es möglichst geheim halten.

Übrigens entstand zur selben Zeit die so schreckliche allgemeine Diffamierung der Frau, die über Jahrhunderte vielen Frauen das Leben kostete, und die noch heute, wie wir wissen, sehr wirksam ist.

Leider blieb diese allgemeine Diffamierung von "links" nicht ohne Auswirkungen auf die alltägliche Erziehung durch Elternhaus und Schule. Noch heute leiden viele Linkshänder darunter .

Die Art wie in unserer Gesellschaft - insbesondere in Österreich - mit Linkshändigkeit und Linkshändern umgegangen wird, hat sich wahrscheinlich in den letzten Jahren etwas gebessert, die grundlegenden Probleme von Linkshändern und die Bedingungen unter denen Linkshänder leben müssen , sind aber nicht gelöst.

Nun gibt es viele, die behaupten, das wäre nur das Problem einer kleinen Minderheit. Dabei vergessen sie (wenn es so wäre!),dass es egal ist, wie viele Menschen es sind, (in Österreich sind es hunderttausende!) denn für alle gelten die gleichen Menschen- und Kinderrechte.

Bereits in den Artikeln 1 und 2 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte", die auch Österreich in der UNO 1948 mitbeschlossen und 1957 im Parlament einstimmig ratifiziert hat, ist das Grundrecht verankert: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten ... ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa ... Geburt oder sonstigen Umständen ." Das ist in Österreich verbindliches Rechtsgut in Verfassungsrang.

Die Händigkeit ist ein wichtiger Lebensumstand.

Linkshändigkeit müsste gefördert, nicht nur toleriert werden

Nun zur Zahl der Linkshänder. Schon vor dem 2.Weltkrieg gab es die ersten Untersuchungen, die auf eine große Zahl an "verdeckten" Linkshändern hinwiesen, die wir heute als "Pseudorechtshänder" bezeichnen.

Diese Untersuchungen legen nahe, dass mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Menschen im Verhältnis 50 : 50 als linksdominant oder rechtsdominant geboren werden (Beidhänder sind ganz, ganz selten). 20 % aller Kinder in der Hälfte der Linksdominanten stellen sich offenbar ohne besondere nachteilige Folgen durch günstige Erziehungsbedingungen und Nachahmung auf rechts um. Es bleiben also 3o % aller Kinder, die als geborene Linkshänder in unserer "Rechtsgesellschaft" der Hilfe bedürfen.

In unseren Schulklassen sind aber nur bestenfalls 10 % der Kinder als Linkshänder erkennbar. Diese 10% der Linkshänder haben sich mit Hilfe der Eltern und Erzieher, aber auch oft gegen deren Willen durchgesetzt.

Es bleiben etwa 20 % aller Kinder, die als Pseudorechtshänder leben und als Kinder, Jugendliche und Erwachsene große Schwierigkeiten haben. Das sind viele tausend Menschen.

Wichtigkeit der Hände für die geistige Entwicklung

Nicht zufällig sagen wir "etwas be greifen" , wenn wir etwas verstehen. Für den Menschen scheint das "Angreifen" für das "Begreifen" von enormer Bedeutung zu sein. Das kleine Kind lernt besonders in der ersten Lebensphase über die Sprache und über seine Hände (zuerst auch über den Mund) unsere Welt zu begreifen.

Die Hände und damit die Handdominanz haben im Gehirn offenbar eine herausragende Sonderstellung, deren Entwicklung nicht gestört werden darf.

Jede (auch nur geringe) Beeinflussung in Richtung Umerziehung eines geborenen Linkshänders ist ein schwerwiegender Eingriff in die Tätigkeit und Funktion des Gehirns -und in die Persönlichkeit des Linkshänders.

Dieser negative Einfluss beginnt meist beim Essenlernen mit einem Löffel. Der nach links abgewinkelte Löffel ist für den linkshändige Kleinkind ungeeignet. Den Linkshänder-Kleinkindlöffel gibt es aber nicht leicht zu kaufen.

Erkennen die Eltern nicht die dominante Hand des Kindes und geben den Löffel wiederholt in die nichtdominante Hand, dann beginnt der fatale negative Eingriff in die Gehirnabläufe.

Es handelt sich bei der Unterdrückung der durch die Gehirnstruktur bevorzugten Motorik gleichzeitig um den Zwang , die motorisch weniger leistungsfähige Hand zu gebrauchen. Der Betroffene muss dabei in Konkurrenz treten mit den Leistungen der Rechtshänder und muss seine leistungsfähige, motorisch bevorzugte Hand und die dazu gehörenden Hirnfunktionen verkümmern lassen. Er muss die ständig zur Bewegung drängende linke Hand zurückhalten, das heißt, deren Betätigung gewaltsam unterdrücken.

Eine Folter für diese Kinder, die im besten Fall Weinen und Protestgeschrei auslöst, oft aber -wegen der Angst vor Liebesentzugs- vom Kind unter Qualen ertragen wird. Für die verantwortungsvollen Eltern heißt das : Den sonstigen (vor allem den spontanen) Handgebrauch des Kindes beobachten, BEOBACHTEN; beobachten und nicht beeinflussen!

Noch eine Überlegung zum Wort "gewaltsam", das ich oben verwendet habe.

Das Empfinden, was "Gewalt an Kindern" ist, wird subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen. Für manche sind nur drastische Formen körperlicher Gewalt - wie Schlagen oder Verletzungen Zufügen - Gewalt. Es ist aber auch subtile psychische Manipulation ein Ausdruck von Gewalt.

Beide Formen von Gewalt kommen in der Praxis sehr häufig vor. "Die G´sunde Watschn" ist durch justiz-ministerielles Gutheißen noch in unerfreulicher Erinnerung. Hier hätte ein Familienministerium seine zentralen Aufgaben in der Elternfortbildung. Auch eine linkshänderfördernde Aus- und Fortbildung der KindergärtnerInnen sei hier angesprochen.

Und an unseren Schulen?

Wie sieht es mit der psychischen Gewalt im Zusammenhang mit Linkshändigkeit an unseren Schulen aus?

Eine gängige Auffassung von Lehrern in unseren Schulklassen ist: "Wir tolerieren selbstverständlich die Linkshändigkeit. Der Linkshänder darf auf einem linken Tischplatz sitzen und links schreiben oder zeichnen."

Und was geschieht sonst für die linkshändigen Kinder?

Werden die Linkshänder genauso in ihrer Linkshändigkeit gefördert, wie die Rechtshänder in ihrer Rechtshändigkeit?

Linkshänder haben von Beginn an durch unsere rechtsläufige Schrift beim Schreiben-Lernen die größeren Probleme zu bewältigen. Sie brauchen Instruktionen für die andere Sitzposition, die andere Handhaltung, die andere Lage des Schreibpapiers, anderes Schreibwerkzeug, andere methodische Hilfen, denn sie "schauen" auch in der Abfolge von Ereignissen in der Richtung anders.

Und was ist mit den doppelt so vielen (20%) "Pseudorechtsern"?

Werden sie erkannt (zum Beispiel schon bei der Einschreibung) und gefördert, und wird ihnen richtig geholfen, sodass sie ihre ursprüngliche Händigkeit, wenn sie wollen (!), wieder leben können?

Wie schaut die notwendige geänderte Methodik und Didaktik des Schreibenlernens und des Werkens für Linkshänder aus? Eines Werkens ohne Linkshänderwerkzeug in den Werkräumen?

Gibt es zu all dem Anleitungen und Hilfen im Lehrplan? (Im Österreichischen Lehrplan der Volksschulen kommt das Wort Linkshänder oder Linkshändigkeit übrigens kein einziges mal vor)

Sind die Lehrer zu all dem ausgebildet?

Es wird zahlreicher Fortbildungsveranstaltungen bedürfen.

Wir haben, wenn wir die Linkshänderbetreuung ernsthaft und für die tausenden Kinder und Jugendlichen erfolgreich und human bewältigen wollen, viel Arbeit vor uns. Gemeinsam mit den Eltern, der Schulbehörde und einer richtigen Schulpolitik ist aber auch das zu schaffen.

Dr.Peter Böhm

Kontakt: Dr.Peter Böhm

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© Dr. Elisabeth Ertl - 2005